Alexandra Engen im Interview: Sport ist lustig, aber wir retten nicht die Welt

FOTO | Ihr charakteristisches Lachen wird man vermissen: Alexandra Engen ©Armin M. Küstenbrück/EGO-Promotion 

Die Zeiten mit Startnummer hat Alexandra Engen für beendet erklärt. Die Schwedin war acht Jahre lang Teil des Weltcup-Zirkus. Sie war in der olympischen Disziplin zwar keine Siegfahrerin, aber sie hat in der MTB-Szene Spuren hinterlassen. Nicht nur durch ihre Erfolge im Eliminator. Im Gespräch, dass sie mit acrossthecountry.net via Skype führte, erklärt sie ihre Entscheidung, was sie in Zukunft machen wird und auch wie sie Ghost Team-Manager Tom Wickles zum Weinen brachte.  

 

aCrosstheCountry: Alex, am 26. Dezember wurde bekannt gegeben, dass Du Deine Karriere beendest. Wie geht’s Dir jetzt mit Deiner Entscheidung?

Alexandra Engen: Gut, mein Gefühl ist gut. Die Entscheidung habe ich ja schon im Oktober getroffen und sie hatte jetzt schon zwei Monate Zeit, um bei mir ankommen zu können. Es ist ein neues Leben, auch für mich und Tobias (Ehemann). Es ist eine coole Zeit, viele Türen stehen offen, ich konnte jetzt sehr viel Zeit mit meiner Familie und Freunden verbringen. Das war richtig schön.

Im Abschieds-Video von Ghost ist die Rede von diesen „hundert Prozent“, mit denen du alles machst. Warst Du der Meinung, dass Du diese hundert Prozent nicht mehr erreichen kannst?

Ich glaube schon, dass ich mich noch hätte steigern können. Aber schon im März nach Zypern, als ich wieder zuhause war, war so ein Gedanke im Kopf, dass ich für nix mehr Energie aufbringen kann. Ich spürte, ich bin wieder stark, aber die Reisen und das Drumherum, das hat mich mehr und mehr leer gemacht. Ich kenne inzwischen die Signale meines Körpers besser. Deshalb konnte ich dann auch Lenzerheide nicht mal starten, weil ich einfach zu kaputt war. Ich merke die Symptome deutlicher wie früher.

„Der Preis ist es nicht wert“

Was war dann letztlich der Grund für den Entschluss?

Eine solch große Entscheidung setzt sich immer aus vielen verschiedenen Gründen zusammen, aber wenn man es runterbricht auf einen Aspekt, dann ist es so: ich glaube nicht, dass ich wieder auf diesen Niveau Radfahren kann und gleichzeitig wieder richtig gesund werde, dass es mir richtig gut gehen wird. Ich habe mir immer die Frage gestellt, ob ich die Erholungszeit verlängern muss, weil ich schon wieder so am Limit war.

Am Ende bin ich zur Erkenntnis gekommen, dass es diesen Preis nicht wert ist. Wenn ich trainiert habe, dann hatte ich keine Energie mehr die Wohnung in Ordnung zu bringen, die Kartons auszupacken, Einkaufen zu gehen und so weiter. So sehr ich Radfahren liebe, so wichtig ist es mir nicht.

So ist die Entscheidung langsam gereift?

Bis jetzt war es einfach lustig, was ich gemacht habe, alles war so selbstverständlich. Das Radfahren, auf eine High School gehen, nach Deutschland ziehen. Ich habe nicht aktiv daran gedacht, die Gedanken waren einfach im Kopf und sind in diese Richtung gewandert.

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Ein Highlight ihrer Karriere: Die Titelverteidigung im Eliminator Sprint 2013 in Pietermaritzburg ©Marius Maasewerd/EGO-Promotion

Jetzt wäre eigentlich eine Zeit, in der Du schon wieder viel trainieren würdest, um Dich auf die Saison 2018 vorzubereiten. Wie empfindest Du das jetzt ohne diesen Anspruch?

Es ist speziell, aber es ist mir nie langweilig geworden. Stattdessen habe ich auf meine Zukunft hin gearbeitet und Sachen gemacht, was bisher liegen geblieben ist. Ich habe schon ein bisschen trainiert, aber nicht zu viel. Aber klar, es kommen immer mal Situationen, in denen man denkt, ‚och, das hätte ich vor ein paar Wochen noch anders gemacht. Aber jetzt nicht mehr’.

Fehlt Dir was?

(Überlegt lange). Hmm. Ich glaube, ich habe immer noch gute Kondition, aber ich denke, dieses Echt-Fit-Sein, das wird mir fehlen. Und im Moment ist es noch neu. Ich weiß nicht wie es wird, wenn ich im Sommer zuhause sein werde, wo ich normal irgendwo auf der Welt unterwegs war. Aber ja, ich denke, ich lasse es immer noch ein wenig landen bei mir. Mit dem Team unterwegs zu sein, Spaß zu haben, schöne Trails fahren zu dürfen und gutes Essen probieren, das wird mir schon fehlen. Andere Leute in anderen Ländern treffen. Aber vielleicht kann ich mir jetzt auch Zeit nehmen, um das noch mehr zu machen.

Wie sieht denn Deine Zukunft aus, bzw., wie soll sie aussehen?

Ich habe ja schon lange gedacht, dass ich Lehrerin werden will. Im Januar werde ich für einen Monat als Vertretung einspringen, an einem Gymnasium in der siebten bis neunten Klasse Deutsch und Schwedisch unterrichten. Das ist eine Chance, das zu probieren und ich hoffe, dass ich im Herbst anfangen kann, zu studieren.

Und an der Uni auf lauter Leute treffen, die zehn Jahre jünger sind.

Ja, das stimmt. Ich hoffe, es gibt noch andere, die älter sind. Dann können wir ein Rentner-Team gründen (lacht). Aber nein, ich glaube, es ist ganz anders, als wenn ich schon mit 20 angefangen hätte. Die Erfahrung, die ich vom Radfahren mitbringe und in die Ausbildung mitnehme, ist nicht schlecht.

Was bringst Du denn aus dem Radsport mit?

Also, ich will ja gerne Sport, Schwedisch oder Deutsch-Lehrerin werden. Für Sport bringe ich jedenfalls viel mit. Aber auch, wie ich hart arbeite, wie ich langfristig einen Plan mache, wie ich zielorientiert arbeite, Entscheidungen zu treffen. Auch mit anderen zusammenarbeiten, mit Leuten kommunizieren, die andere Ansichten haben oder aus einem anderen Land kommen. Es ist alles Mögliche, was ich mitbringe.

Noch mal zurück zu dem, was Dir fehlen könnte. Du warst ja immer sehr gesellig. Sind da auch Freundschaften entstanden?

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Freundinnen: Katrin Leumann und Alexandra Engen ©Marius Maasewerd/EGO-Promotion

Ein paar auf jeden Fall. Es gibt auch verschiedene Arten von Freundschaften. Mit manchen hast du immer Kontakt. Leumi (Katrin Leumann) ist auf jeden Fall eine davon. Dann gibt es sicher Leute, auf die ich mich freuen würde. Aber man kann ja nicht mit allen Kontakt halten.

Ihr seid ja Kolleginnen, aber immer auch Konkurrentinnen.

Ja, aber das konnte ich schon immer trennen. Wir fahren halt im Kreis, das machen wir zwei Stunden. Und den Rest kann man ganz normal mit jemand umgehen.

Du sagst das etwas despektierlich, „zwei Stunden im Kreis fahren“. Hast Du da schon etwas Distanz aufgebaut?

Das hatte ich, glaube ich, schon immer. Ich konnte immer trennen zwischen dem, dass wir Radfahren ausüben, aber normale Menschen sind, die halt schnell Radfahren können. Sport ist fantastisch, lustig und schön. Aber es ist nicht so, dass wir versuchen die Welt zu retten. Oder in einem Kriegsgebiet sind. Wir machen etwas, das uns Spaß macht. Das ist schön, aber es gibt andere Sachen, die wichtiger sind im Leben. Deshalb ist es auch nicht schwierig, wenn man zuerst den Mensch sieht und nicht das, was er tut. Dann ist es leichter gute Beziehungen zu pflegen.

Dieses Interview gibt es, weil Du mit einem Burnout zu tun hast. Oder einer Depression, wie auch immer man das nennen mag…

Ich habe ein Burnout-Syndrom gehabt. Das sind ähnliche Symptome wie bei einer Depression, aber ich habe keine

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Unbändige Freude ist nur eine Seite der Medaille ©Armin M. Küstenbrück/EGO-Promotion

regelrechte Depression gehabt. Nicht so wie Jenny (Rissveds, Olympiasiegerin), so weit ich es verstehe.

Die meisten Fachleute sagen, es wäre dasselbe. Es gibt eben leichtere und schwerere Formen davon. Unabhängig davon, wie man das jetzt nennt, Du bist ja kein Einzelfall. Du hast Jenny Rissveds genannt, es gibt ja auch Julie Bresset und Pauline Ferrand Prevot. Was hat das mit dem Leistungssport zu tun?

Ich finde es schwierig, das zu benennen. Ich weiß nicht, wie es für die anderen war, ich kann nur für mich sprechen. Bei mir war es so: ich wollte alles sehr gut machen und ich konnte nicht sortieren..

Sortieren?

Zu sagen, das ist wichtiger, das ist unwichtiger. Dazu eine echt hohe Zielsetzung, eine hohe Arbeitsmoral. Aber auch, dass ich viele Sachen gleichzeitig gemacht habe. Zu viel, zu gut. Jetzt musst du dich als Sportlerin vermarkten, du hast die Verantwortung in den Sozialen Medien gut hinzustellen.

Manche mögen das, finden das lustig. Ich war nie jemand, die das geliebt hat. Wenn du es magst, wird es leicht. Ich weiß nicht, Druck und die Erwartungen von anderen spielen auch eine Rolle.

Aber eine allgemeine Antwort kann ich nicht geben. Bei mir war es die Zielstrebigkeit und ein hohes Verantwortungsgefühl, auch für Dinge, die eigentlich nicht in meiner Verantwortung lagen.

Julie Bresset sagte mir, sie hätte nicht gelernt „Nein“ zu sagen.

Ja. Ich auch nicht.

Hast Du es inzwischen gelernt?

Jaa, habe ich. Nicht immer, aber zum Großteil, ja. Ich denke nach, akzeptiere auch, was ich fühle. Wenn ich zu müde bin, kann ich jetzt sagen, nein, ich tu’ das nicht, ich nehme es nicht an. Ich bin auch ehrlich, ich suche auch keine Ausreden. Leute verstehen das, wenn man sagt: ich schaffe es nicht.

Den Satz: ‚Geht nicht gibt’s nicht’ würdest du nicht mehr unterschreiben?

Na ja, dafür gibt es zu viele Möglichkeiten. Ich denke, wenn ein Mensch sich einer oder wenigen Aufgaben verschreibt und er die Früchte ernten kann, dann ist er auch zu harter Arbeit fähig. Aber er braucht auch Zeit zum Runterkommen. Wenn eine dritte, vierte Sache dazu kommt, dann beginnt das Jonglieren. Es ist auch ein Talent, eine Fähigkeit, nicht zu viele Bälle jonglieren zu wollen.

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Der letzte Weltcup, den sie gemeinsam erlebten: Ghost Team-Manager Tom Wickles und Alexandra Engen ©Andreas Dobslaff/EGO-Promotion

Jetzt hast Du Deine Mountainbike-Karriere beendet. Welche Momente werden Dir als Highlights in Erinnerung bleiben?

Hmm, schwierig. Wenn man zum ersten Mal große Sachen gewinnt, den ersten Weltmeister-Titel im Eliminator zum Beispiel. Wenn man ein großes Ziel erreicht hat, wenn Taktik, Form, Strecke, wenn einfach alles passt, das ist mir ja ein paar Mal gelungen. Olympia in London war auch so was….und, dass ich Tom (Wickles, Ghost-Teammanager) zum ersten Mal zum weinen gebracht habe.

Wann war das?

Bei meinem Weltcupsieg im Eliminator Sprint in Nove Mesto 2012. Danach wurde es immer schwieriger, ihn zum Weinen zu bringen. Weißt Du, dass Tom kaum ein Sprint-Finale angeschaut hat? Er hat mich am Start festgehalten und dann hat er sich irgendwo hingestellt, vor eine Mauer oder so, weil er so nervös war. Im Val di Sole 2013 hat er es aber angeschaut, weil er dachte, ich gewinne sowieso nicht. Habe ich aber doch (lacht).

Besondere Momente…

..ja. Highlights waren für mich auch, wenn wir zusammen mit dem Team eine Tour gemacht haben, zum Beispiel auf Zypern. Oder gemeinsam die Strecke angeschaut haben. Ich bin ein Zusammen-Mensch und Momente, in denen man spürte, wir arbeiten als Team, wir sind füreinander da, das sind auch so Highlight. 2012 in Nove Mesto habe ich die Olympia-Quali geschafft, Leumi (11.) und Lisi (Osl, 25.) auch. Wir haben im Ziel aufeinander gewartet und haben uns umarmt. Das war ein schöner Moment, zusammen zu feiern.

 

Deine Anfänge in Deutschland waren beim damaligen Team Rothaus-Cube. Hat Dich das auch geprägt?

Oh ja, sie waren so gut zu mir, so gut. Vor allem Patrik (Faller, Teamchef). Der hat mich unter seine Flügel genommen. Ich bin 2011 auch noch geblieben, obwohl ich (als U23-Weltmeisterin) Angebote hatte, weil er so viel gemacht hat für mich.

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Als U23-Weltmeisterin im Rothaus-Team ©Armin M. Küstenbrück/EGO-Promotion

Du hast 2011 auch Jenny Rissveds als Gastfahrerin im Rothaus-Team untergebracht.

Genau.

Da hast Du auch wieder Verantwortung übernommen, die Du hättest nicht übernehmen müssen..

…für mich war das selbstverständlich. Du siehst ja schon…(lacht). No more comment (lacht). Ach, da fällt mir noch ein anderes Highlight ein. Das Olympia-Camp 2012 mit Fredrik Ericsson, Ida Klockervold,(Physiotherapeutin) und Theo Münster, (Mechaniker). Ich bin da ja auf Krücken gewesen, weil ich mein Knie nicht beugen konnte, nach einem Sturz bei den Schwedischen Meisterschaften die Woche zuvor. Die ersten eineinhalb Wochen konnte ich nicht Radfahren.

Ich weiß noch, Fredrik und ich saßen in Schottland im Auto, weil wir bei der Eröffnungsfeier irgendwie den Schlüssel verloren hatten. Fredrik sagte damals: Radfahren ist super lustig, aber am Ende fahren alle nur im Kreis und schauen wer der Schnellste ist. Wenn es nicht geht, dann geht die Welt auch nicht unter. Wenn du nicht starten kannst, tja, dann gehen wir einfach Eis essen.

Auch wenn ich das Knie nicht beugen konnte, hatte ich nicht viel Angst. Dass das zu einem sechsten Platz geführt hat, das war ein großartiger Moment. Das sind so Highlights, die beim Darüber-Reden hochkommen.

Jenny hat dich von den Ergebnissen her irgendwann überholt, hat einen Weltcup gewonnen, ist Olympiasiegerin geworden. Wie ist denn Euer Verhältnis?

Wir haben nicht viel Kontakt, aber wir respektieren uns. Wenn wir reden, dann ist es schön, ich mag sie. Vielleicht war für sie die Konkurrenz-Situation schwieriger, ich weiß nicht. Aber wir sind beide gut damit umgegangen. Wie sie jetzt mit der Depression umgeht, in ihrem Alter, da ist sie ein Vorbild. Ich hoffe, dass sie wieder Fuß fasst und es ihr wieder richtig gut gehen wird.

Wird man Dich in Zukunft irgendwo bei Rennen treffen?

Nicht mit Startnummer (lacht). Aber so vielleicht schon. Ich hatte ja nicht die Zeit, tschüss zu sagen. Ich habe schon Lust, nur nicht mit Startnummer. Ich werde jetzt Sonnenschein-Hobbyfahrer.

Und in einer Funktion Als Trainerin vielleicht?

Ich weiß nicht, was ich machen werde. Die Trainer-Ausbildung finde ich für mich nicht so interessant, eher so in mentales Coaching. Dafür bin ich vermutlich mehr geeignet. Aber ich habe keine Pläne. Zuhause im Verein könnte ich schon was machen, mit Kindern oder so.

Alex, herzlichen Dank für das Gespräch.

 

 

 

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