Anja Gradl: Abschied ohne Bitterkeit

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Solche Bilder wird es vorerst nicht mehr geben: Anja Gradl im Nationaltrikot bei der WM 2011 in Champery. ©Johannes Tsopanides/EGO-Promotion


Bulls-Bikerin Anja Gradl wechselt vom Sattel an den Schreibtisch. Die Deutsche Vizemeisterin von 2010 beendet ihre Profi-Karriere und tritt eine Stelle als Wirtschaftsjuristin an.

„Ich habe das schon länger für mich entschieden. Seit dem Weltcup in Albstadt habe ich mir entsprechende Gedanken gemacht“, erklärt Anja Gradl. „Ich hatte in den letzten drei Jahren so viele Rückschläge. Jedes Mal bin ich nach einer guten Wintervorbereitung hat mein Körper mit einer Verletzung oder einem Infekt geantwortet.“

Aufwand und Ertrag standen nicht in dem Verhältnis, das Anja Gradl für sich erwartet hätte. „Ich wusste, ich muss was ändern.“ Wenige Wochen später stürzte sie beim Training zur EM in Bern und brach sich das Schlüsselbein. Auch ein schöner Abschluss beim Weltcup in Norwegen blieb ihr versagt. Wieder war sie krank geworden.

So sei die Entscheidung zum Start in die berufliche Karriere gefallen. Sie nahm ein Angebot an, das sie schon vor Jahresfrist bekommen hatte und wird sich ab 1. Januar 2014 in einer Anwaltskanzlei mit Wirtschaftsprüfungen, Steuerprüfungen und Unternehmensberatungen auseinander setzen.
„Da findet mein Studium eine breite Anwendung und ich freue mich drauf“, betont Gradl.

Viele schöne Augenblicke
Der Blick zurück ist keiner im Zorn. Bedauern würde sie nichts, sagt die 27-Jährige. „Das alles hört sich vielleicht dramatisch und schade an, aber ich spüre überhaupt keine Bitterkeit. Ich habe so viel erlebt, so viele schöne Augenblicke gehabt und sehr, sehr viel gelernt im Leistungssport.“ Sie würde jedem jungen Sportler raten die Chance zu ergreifen, wenn er sie bekommt. Der Sport sei eine tolle Lebens-Schule.

Nur sensibler auf den Körper hören als sie es selbst getan habe, das würde sie dem Nachwuchs mit auf den Weg geben. Zu oft habe sie unter Schmerzen trainiert und sei Rennen gefahren. „Das hat mich sehr viel Energie gekostet, obwohl ich es erst einmal gar nicht so registriert habe“, bekennt die Oberpfälzerin, die in Amberg lebt.

Künftig vielleicht ein paar regionale Rennen
Auch wenn die letzten drei Jahre mit etlichen (körperlichen) Schwierigkeiten behaftet waren, so kann Anja Gradl unter anderem immerhin noch einen neunten Platz bei der EM 2011 für sich verbuchen, mit dem die Kletterkünstlerin sogar die Norm für die Olympischen Spiele in London erfüllte, oder einen 15. beim Weltcup in Val d’Isére.

Sie verweist in ihrer persönlichen Karriere-Bilanz auch auf den Gewinn der Weltcup-Teamwertung mit Central-Ghost 2009, als sie in Schladming als Elfte auch ihr bestes Weltcup-Resultat notierte. Dazu kamen etliche Podest-Plätze bei Bundesliga-Rennen und im nahen Ausland.

Ein Mountainbike hat sie vom örtlichen Bike-Shop bekommen, damit sie auch trainieren kann, sofern sie nächstes Jahr Zeit dafür hat. „Das werde ich erst einmal abwarten. Mir macht der Sport nach wie vor sehr viel Spaß und wenn ich die Gelegenheit habe, fahre ich vielleicht ein paar regionale Cross-Country-Rennen oder Marathons“, blickt sie voraus.

Potenzial für die Top-Ten im Weltcup
Dem deutschen Cross-Country-Sport geht mit Anja Gradl erst mal eine Bikerin mit guten Anlagen verloren. Als Weltmeisterin hätte sie sich zwar nie gesehen, sagt sie selbst, aber ohne all die Stolpersteine wäre das eine oder andere Top-Ten-Resultat im Weltcup wohl drin gewesen.

Sie hätte auch in Zukunft für eine höhere Leistungsdichte unter den deutschen Bikerinnen gesorgt. Nachdem Mona Eiberweiser unfreiwillig aufgeben musste und Silke Schmidt schon 2012 auch den Beruf als Schwerpunkt gewählt hat, fällt jetzt also eine weitere potenzielle Kader-Fahrerin weg.

Klar, dass Bundestrainer Peter Schaupp Gradls Abschied vom Leistungssport bedauert. „Man muss das respektieren, aber sie wird uns als Option natürlich fehlen“, so Schaupp. In der Deutschen Marathon-Meisterin Silke Schmidt lässt sich zwar sehen, dass man auch beruflich eingespannt noch Erfolg haben kann, doch mit internationalen Einsätzen lässt sich das kaum koordinieren.

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