European Games Baku: Sechs Milliarden für 6000 und keine Pressefreiheit

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European Games. Europaspiele. Am Samstag werden dort die MTB-Rennen ausgefahren. Bis vor kurzem wussten nur wenige Sport-Insider mit diesem Event etwas anzufangen. Warum es die ab Freitag, 12. Juni zum ersten Mal gibt und in vier Jahren in Rotterdam zum zweiten Mal, (siehe Update ganz unten) das hat (sport-)politische Hintergründe, die es lohnt näher zu betrachten. Auch das Ausrichter-Land Aserbeidschan.

Das hier ist ein Blog, der sich um den Mountainbike-Sport, genauer um die Cross-Country- und die Marathon-Disziplin dreht. Nun werden am Samstag auch bei den European Games (EG) in Baku Cross-Country-Rennen ausgetragen und damit ist der Blog und sein Autor auch mit der sportpolitischen Dimension konfrontiert, die der Event im Kaukasus mit sich bringt.

Was hier ansatzweise dargestellt wird, beruht nicht auf eigenen Recherchen, sondern ist der Verdienst von Journalisten, wie Jens Weinreich. Der ist, auch auf seinem Blog, permanent am Ball und hat unter anderem in einem sehr empfehlenswerten Artikel für die Krautreporter die Hintergründe zusammengetragen.

Asian Games, Pan American Games, All African Games, Pacific Games, all das gibt es bereits, spätestens seit den 60er-Jahren. Dass man das auch in Europa haben müsste, das war im Grunde das einzige und nur mäßig überzeugende Argument, um Europa-Spiele ins Leben zu rufen. Seit Jahrzehnten waberte die Idee immer mal wieder durch das Verbands-Wesen.

Interesse haben die Kleinen
Viele internationale Fachverbände sahen (und sehen) das kritisch. Auch die nationalen Fachverbände in Deutschland waren wohl mehrheitlich dagegen. Man hätte die Einwände „ausgiebig und kritisch diskutiert“, sagte DOSB-Generaldirektor Michael Vesper gegenüber der taz. Sich dann jedoch entschieden, sich den „Europaspielen nicht zu verweigern.“ Warum auch immer. Also noch ein Großevent im ohnehin schon dichten Kalender, das erschien kaum jemand sinnvoll. Europameisterschaften gibt es ja bereits.

Das ist auch der Grund, warum der Radsport-Weltverband UCI für die MTB-Rennen am Samstag nur Punkte in der Kategorie C3 vergibt. Das gilt auch für die oben genannten Erdteil-Events.

Nun, das Europäische Olympische Komitee (EOC) hat die Idee dennoch in die Tat umgesetzt. Interessiert an einem solchen Event sind vor allem die kleineren unter den 50 Mitgliedsverbänden. Vesper sprach von „einer klaren Mehrheit“, die für die Umsetzung der Idee gewesen.

Und wenn man sich die Startliste der Cross-Country-Rennen anschaut, dann findet man auch Verbände, die nächstes Jahr in Rio de Janeiro bei den Olympischen Spielen mit großer Wahrscheinlichkeit nicht auftauchen werden: Montenegro, Georgien, Kroatien und natürlich: Aserbeidschan.

Sechs Milliarden Euro für 16 Tage mit 6000 Sportlern
Womit wir beim Gastgeberland wären. Gemessen an demokratischen Strukturen und Pressefreiheit hätte man bei der Wahl des Gastgeberlandes nicht viel tiefer greifen (oder fallen) können. Journalisten und Systemkritiker leben dort gefährlich, sehr gefährlich. Auf dem Index für Pressefreiheit rangiert das Land auf Position 162. Menschenrechte werden mit Füßen getreten. Jetzt wurde kurzfristig auch noch Amnesty International ausgeschlossen, nachdem die Organisation einen Besuch in Aserbeidschan geplant hatte.

Das von Olympiern gerne benutzte Argument, dass solche Sport-Ereignisse zu einer Öffnung, zu einer Verbesserung der Situation im Land führen werde, dass man die Missstände vor Ort ansprechen werde, das ist wohl mehr selbst erteilte moralische Absolution. Historisch lässt sich das nicht belegen. Im Gegenteil.

Baku ist mit einer Bewerbung für Olympische Spiele zweimal in der Vorrunde ausgeschieden. Die European Games sind vielleicht so was wie ein Trostpreis. Aber es hätte wohl auch kaum ein anderes Land gegeben, das binnen nicht mal drei Jahren einen solchen Mega-Event mit rund 6000 Sportlern auf die Beine stellt.

Das Programm für die EG ist zwar nicht dasselbe wie für Olympisches Spiele (16 von 28 Sportarten plus einige nicht-olympische), aber Aserbeidschans Alleinherrscher Ilham Alijew, in Personalunion auch Chef des Nationalen Olympischen Komitees, hat rund sechs Milliarden Euro locker gemacht. Seine Frau Mehriban Alijewa ist übrigens Chefin des Organisationskomitees.

Hunderte Millionen flossen auch noch in Werbe-Kampagnen. Auf den Trikots von Atletico Madrid prangt das Logo für Baku 2015, in unzähligen Spots wurde auf den Event aufmerksam gemacht, Sportler, darunter auch Maja Wloszczowska (Kross Racing) zu Botschaftern der Spiele gemacht.

Aserbeidschan wird mit seinen Petro-Milliarden aus dem Kaspischen Meer weiterhin versuchen internationale Sport-Veranstaltungen an Land zu ziehen. Nächstes Jahr gibt es dort ein Formel-Eins-Rennen und 2019 die Sommer-Universiade. Katar macht diese Politik im größerem Stile vor. Denkbar ist auch, dass die von Albstadt-Organisator Stephan Salscheider und seiner Agentur eigens gebaute Cross-Country-Strecke künftig für einen Weltcup oder eine EM genutzt wird.

Innenministerium mit einer halben Million beteiligt
Nun, es ist niemand verpflichtet daran teilzunehmen. Wiewohl natürlich der DOSB im Falle der EG nicht gut dagestanden hätte, wenn sich die Fachverbände (oder gar die Sportler) ganz verweigert hätten.

Aber Aserbeidschan, respektive Ilham Alijew und sein Organisationskomitee, hat seinen Teil dazu beigetragen. Reisekosten (per Pauschale) und Unterkunft werden übernommen. Für Sportler, Funktionäre und Betreuer! Zum größten Teil jedenfalls. Der DOSB zahlt trotzdem noch fast eine Million Euro drauf. Nein, die Hälfte, denn die anderen 500000 kommen vom Bundesinnenministerium. Könnte man sich jetzt auch fragen, ob das politisch angemessen ist.

Das EOC wird geführt vom Iren Pat Hickey, der auch im Exekutiv-Komitee des IOC sitzt und zu den Unterstützern von Thomas Bach bei der Wahl zum IOC-Präsidenten zählte. Hickey hat auch schon Schlagzeilen gemacht, weil er als Präsident des Irischen Nationalen Olympischen Komitees mit einer Firma Geschäfte machte, in der sein Sohn beschäftigt ist. Er hat es sich auch nicht nehmen lassen dem weißrussischen Diktator Alexander Lukaschenko einen EOC-Orden umzuhängen. Womit wir mitten in der olympischen Parallelwelt angekommen sind.

Teams dürfen auf ihrer Homepage nicht berichten
Die gibt es ja auch in Sachen Marketing. Genauso wie bei Olympischen Spielen wird die Vermarktung auch bei den EG sehr restriktiv umgesetzt. Unternehmen, die nicht zu den Sponsoren gehören, haben keinerlei Rechte, in Zusammenhang mit den European Games Werbung zu machen.

Damit will man das so genannte Ambush-Marketing ausschalten. Das ist eine Methode, quasi als Trittbrett-Fahrer vom Glanz und Werbewert Olympias zu profitieren. Im Extremfall zum Beispiel, in dem man Zuschauer bei Wettbewerben einschleust, die dann das Nike-Logo in die Kamera halten, obwohl Adidas Sponsor ist.

Vielleicht sind die Restriktionen auf diesem Hintergrund nachvollziehbar, aber dieser Rechte-Claim geht so weit, dass auch die MTB-Teams auf ihren Webseiten innerhalb einer gesetzten Sperr-Frist nicht über die EG in Baku berichten dürfen. Die Verbände wie Swiss Cycling müssen eine extra Homepage einrichten, auf der ihre normalen Sponsoren nicht präsent sein dürfen, damit sie von den Europaspielen berichten dürfen.

Immerhin, Schurter, Neff, Kulhavy und Co. dürfen ihre Bikes benutzen und müssen auch ihre Sponsoren Scott, Stöckli oder Specialized nicht abkleben. Und auch nicht den Laufradhersteller, etc. Aber wehe es ist ein Logo zu sehen, das nicht sowieso immer schon da war.

In vier Jahren Rotterdam…
Dass die Athleten in Baku dabei sind, das sie sich freuen und ihren Spaß haben, dass sie dort Erfahrungen sammeln und mit Leidenschaft ihren Sport ausüben, das kann man ihnen kaum verdenken. Eine Sport-Karriere ist zeitlich begrenzt, die Chancen auf das Erlebnis Olympia (oder jetzt European Games) bekommen die meisten nur ein oder zweimal.

In der Verantwortung stehen in erster Linie die Funktionäre. Und Politiker.
Aber es kann nicht schaden, wenn Sportler wissen, was um sie herum und zum „Wohle des Sports“ geschieht. Sich hier und da auch mal bemerkbar machen, wie es DOSB-Athletensprecher Christian Schreiber kürzlich in der FAZ getan hat und seine Interessen gegenüber ihren Funktionären vertreten. Ohne Sportler gibt’s auch keine Spiele.

Nach Aserbeidschan, nach Baku, kommt übrigens in vier Jahren Rotterdam. In einem demokratischen Land mit freier Presse. Und mit einem Konzept, fernab von Gigantomanie. Was nicht heißt, dass im Hintergrund alles sauber abläuft.
Ob dann Mountainbike wieder im Programm sein wird, das bleibt abzuwarten. Update: Heute, 10. Juni, haben die Niederlande die Ausrichtung der 2. European Games zurückgegeben! Grund: Die Kosten seien zu hoch und es sei auch nicht klar, ob die Spiele auch wirklich eine sportliche Top-Substanz hätten.

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