Intensiv und taktisch: Schweizer Bikerinnen auf der Bahn

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Ungewohntes Terrain: Jolanda Neff vor Andrea Waldis und Kathrin Stirnemann, oben Linda Indergand beim Punktefahren. Rechts Nationalcoach Edmund Telser ©Erhard Goller

Die eidgenössischen Cross-Country-Spezialisten auf fremdem Terrain: Nino Schurter und Co. waren letzte Woche dran, jetzt tummelten sich auch die Schweizer Mountainbikerinnen auf der Radrennbahn in Grenchen. Die WM-Dritte Esther Süss, U23-Weltmeisterin Jolanda Neff und ihre Kolleginnen erlebten eine intensive Trainingswoche. Ein Vorort-Termin.

Es ist unangenehmer, nasskalter Winter-Tag. Dauer-Regen und kühle Temperaturen. Keiner, Tag an dem es Radsportler mit Freude nach draußen zieht. Ein Tag, an dem man lieber drinnen bleibt. In diesem Fall ist „Drinnen“ das Velodrome Suisse in Grenchen. Hier ist gut temperiert und die Damen im roten Trikot mit dem weißen Kreuz ziehen ihre Bahnen kurz-kurz. Mit kurzem Ärmel und kurzer Radler-Hose.

Es wird in einer Zweier-Reihe belgisch gekreiselt, es gesprintet, verfolgt, gepunktet. Edmund Telser und Christian Rocha rufen den Mountainbikerinnen Anweisungen zu. Blaue Linie, rote Linie, oben fahren, von oben nach unten stechen, auf der Geraden freihändig fahren.

Es ist die zweite Trainingseinheit an diesem Donnerstag im schönen neuen Holzoval. Von Montag bis Freitag dreht die hochkarätige Damen-Riege auf schmalen Reifen ihre Runden. Und obwohl es in dieser Phase der Vorbereitung vor allem um Grundlagen-Ausdauer geht, wurde nicht nur mit niedrigem Puls gefahren.

Die Herren waren in der Vorwoche unter der Leitung von Bruno Diethelm dran. Mathias Flückiger (Stöckli Pro Team) und Sepp Freiburghaus (Thömus) sind an diesem Tag aber auch wieder im Velodrom. Wie anstrengend es bei den Herren war, lässt sich erahnen, wenn Flückiger bekennt „noch etwas müde von der letzten Woche“ zu sein.

„Es war klar, dass wir hier keine Ausdauer-Woche machen. Wir haben das vorher angekündigt und die Sportler konnten das in ihren Plan einbauen“, erklärt Christian Rocha, der bei Swiss Cycling für die Frauen-Nationalkader verantwortlich ist.

Aus der Lethargie des tristen Wintertrainings
Mit dem neuen Verantwortlichen für die Cross-Country-Damen Edmund Telser ist er darüber einig, dass es gut ist das „lange, triste Wintertraining“ mit einem intensiven Trainingsimpuls zu unterbrechen. „Mit so einem Block kann man die Sportlerinnen etwas aus der Lethargie der Grundlagen-Einheiten heraus reißen“, meint Rocha.

Seit das Velodrome Suisse vor einem Jahr eröffnet wurde, hat sich auch für die Biker die Möglichkeit auf der Bahn zu trainieren stark verbessert. Für fast alle Bikerinnen war die Holzbahn Neuland. Deshalb mussten die Damen erst mal die Grundregeln des Bahnradsports erlernen. Vor allem auch das sichere Fahren auf dem schrägen Terrain.

„Das haben sie alle erstaunlich schnell drin gehabt, alle Achtung. Vermutlich liegt das daran, dass sie als Mountainbikerinnen vor der Steilheit der Bahn keinen so großen Respekt haben“, meint Edmund Telser. Nur die WM-Dritte Esther Süss (Wheeler-iXS), die aus beruflichen Gründen nicht das komplette Programm mitmachen konnte, ist bei ihrer zweiten Einheit auf der Bahn noch etwas unsicher. Sie lässt die Hand noch am Lenker und hält sich später auch bei den Sprints zurück.

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Die Steilheit der Steilkurve. Die Bikerinnen finden sich schnell zurecht. ©Erhard Goller

Neben der Grundschule des Bahnfahrens, wozu erst mal auch die Gewöhnung an das Sportgerät mit der starren Nabe und ohne Bremse gehört, setzten Telser und Rocha über fünf Tage verteilt einen Omnium-Wettbewerb an. Eine „Flying Lap“ (eine Runde auf Zeit quasi mit Anlauf), 500 Meter (aus dem Stand), 3000 Meter, Scratch (wer als Erste ins Ziel kommt, hat gewonnen) und am Freitag ein Ausscheidungsfahren (jeweils die letzte Fahrerin scheidet aus). Die Wettkämpfe sind für die Bikerinnen das Salz in der Suppe.

Am Donnerstag stand das Punktefahren auf dem Programm. 60 Runden haben Telser und Rocha angesetzt, alle sechs Runden wurde um Punkte gesprintet. Gelingt ein Rundengewinn –also eine Überrundung des Feldes – gibt es 20 Punkte, sonst bei den Sprints 5,3,2,1 Zähler.

„Dabei geht es sehr viel um Taktik. Beim Scratch haben sie sich noch nicht viel überlegt, ich bin mal gespannt wie das heute wird“, meint Christian Rocha bevor es los ging.
Und Rocha setzte den Link zum Cross-Country-Sport. „Die Rennen werden heute immer enger, das taktische Verhalten wird immer wichtiger. Das können sie hier mal in ihr Bewusstsein rücken“, erläutert er die Idee.

Taktik-Training auf engstem Raum
Auf 20 Minuten Belastung verdichtet werden beim Punktefahren auf engstem zeitlichen Raum permanent taktische Entscheidungen verlangt. Rennsituation und Gegnerinnen müssen ständig neu eingeschätzt werden und mit den eigenen Möglichkeiten abgeglichen. Was ist die beste Strategie? Lange Sprints von der Gegengerade, kurze Sprints auf der Zielgerade. Oder ein Fluchtversuch mit dem Ziel eine Überrundung zu schaffen und unterwegs Punkte einzusammeln?

Linda Indergand (Strüby MTB Kader), Jolanda Neff (Giant Pro XC) und Andrea Waldis (Colnago Südtirol) fahren praktisch jeden Sprint mit und verbrauchen ihre Kräfte. Indergand hält sich einmal zurück und springt dann vorne weg, um zweimal die fünf Punkte abzukassieren.

„Ich habe mich da bewusst zurück gehalten, um Energie zu sparen“, erklärt Indergand ihre erfolgreiche Strategie, die Christian Rocha in der Auswertung positiv hervorhebt.
Auch in einem Cross-Country-Rennen muss sich eine Fahrerin überlegen, wie oft sie eine Attacke mitgeht oder wie oft sie vor einem Singletrail Kraft in einen Zwischensprint investiert. Das könnten Analogien sein, bei denen die Schweizerinnen von ihrem Training auf der Bahn profitieren können.

„Es ist cool mal die Erfahrung zu machen. Die kleinen Wettkämpfe lockern das auf und alleine würde ich so intensive Sachen nicht trainieren. Aber ich bin auch froh, wenn ich wieder aufs Bike sitzen kann“, meinte Jolanda Neff.

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Angriff: Nathalie Schneitter und Straßenfahrerin Corinna Overney setzen sich ab zum Rundengewinn, Kathrin Stirnemann (unten) und Jolanda Neff sind überrascht. ©Erhard Goller

Nathalie Schneitter, die das Punktefahren durch einen Rundengewinn schlussendlich für sich entscheidet, findet es auch „cool mit den Mädels eine Woche zusammen zu sein.“ Es wäre eine so gute Stimmung unter den Damen, dass man sie nach längerer Pause gerne wieder sieht. Und: „Wir haben ein hohes Niveau und deshalb eine hohe Trainingsqualität.“

Das ewige Indoor-Im-Kreis-Fahren macht den naturverbundenen Mountainbikern nur teilweise Laune. „Aber besser als bei Regen auf der Rolle zu sitzen“, bringt es Mathias Flückiger auf den Punkt. Mit nur einer halben Stunde Fahrzeit nach Grenchen kann er die Bahn gut nutzen. Allerdings hat er morgens schon eine Einheit draußen absolviert.

Eigentlich hätten außer Corinna Overney noch ein paar mehr Straßenfahrerinnen dabei sein sollen. Das ließ sich aus Termingründen aber nicht verwirklichen.

Grundsätzlich versuchen Telser und Rocha eng zusammen zu arbeiten. Im Lager der Junioren hebt Swiss Cycling sogar die Trennung der Nationalkader Straße und Mountainbike auf. Das war bisher in der U17 schon so und wird jetzt ausgedehnt.

Man will gegenseitig profitieren und überdies den Sportlerinnen und Sportlern die Möglichkeit geben heraus zu finden, welche Disziplin ihnen am besten liegt und wo sie die größten Chancen zur Entwicklung haben.

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