Interview mit Hannes Genze (2): Ich war ein Bruchpilot und Plan-Über-Erfüller

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Interview zweiter Teil: Hannes Genze hat eine Menge zu erzählen. ©Centurion-Vaude


Weit mehr als zehn Jahre hat Hannes Genze die deutsche Wettkampf-Szene in Cross-Country und Marathon mitgeprägt und auch international deutliche Spuren hinterlassen. Am 16. November hat er beim Cross-Rennen seines Vereins RV Pfeil Magstadt seine Karriere beendet. Der 33-Jährige Marathon-Europameister von 2005 hat bei einem Besuch bei ihm zuhause in Sindelfingen viel zu erzählen und genauso viel zu sagen. Im zweiten Teil des langen Interviews spricht er über seine Zeiten als „Bruchpilot“, seinen Trainingseifer, der die Kollegen zur Verzweiflung trieb, über Training überhaupt, die Zeit im Team Alb-Gold und dessen unrühmliches Ende und eine mögliche Zukunft als Trainer.

..Hannes serviert Capuccino…Ein Foto-Buch liegt auf dem Tisch. Darin finden sich zahlreiche Fotos aus der Karriere von Hannes Genze und Geschichten, die seine Weg-Gefährten aufgeschrieben haben.

ACC: Zu Beginn deiner Karriere hattest Du einige Rückschläge zu verkraften. Als herausragender Fahrtechniker warst Du nicht bekannt.
HANNES GENZE: Nein, ich war eher so der Bruchpilot (lacht). Wenn Du das Buch studierst, dann weißt Du das. Zweimal habe ich das Schlüsselbein gebrochen, der Beinbruch war mehr oder weniger ein Verkehrsunfall, aber offene Knie waren an der Tagesordnung. Ob das an Selbstüberschätzung lag oder an Unvermögen, das kann man gar nicht mehr genau sagen. Aber die Bereitschaft ein Risiko einzugehen, die wird halt manchmal auch belohnt – wenn man sturzfrei durchkommt.

Ich würde sagen, mein Kollege Markus Kaufmann (Deutscher Meister 2012) kann da noch dran arbeiten. Der fährt manchmal zu brav und verliert dadurch auch mal ein Rennen. Wenn man eines gewinnen will, bei dem man nicht deutlich überlegen ist, ist es manchmal auch nötig ein Risiko einzugehen. Das war bei mir vielleicht gar nicht immer eine bewusste Entscheidung, eher der Wille, es möglichst gut zu machen. Manchmal bin ich dabei allerdings über das Ziel hinaus geschossen.

In diesem Sinne ist Hannes Genze beim Weltcup in Houffalize auch mal über die Kante geschossen und im Flußbett der Ourthe gelandet. Während der Kurs eigentlich über ein Wiesenstück führte, nutzte Genze die Mauer, die den Fluß begrenzt, um Positionen gut zu machen – und stürzte ab. Er habe „nicht alle Faktoren dabei beachtet“, sagt er heute in bestechender Analyse und mit einem Schmunzeln.

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Immer mal wieder ans Limit und darüber hinaus. Hier bei der Trans-Zollernalb 2012 (vor Robert Mennen) ist’s gut gegangen. ©Sportograf

Diese Schlüsselbein-Brüche, waren das auch Brüche in Deiner Karriere?
Nein, der erste sicher nicht. Beim zweiten auch nicht wirklich. Oft kommt ein Sportler nach einer Verletzung ja stärker zurück, weil er sich regeneriert. Kugi (Andi Kugler) hat zu mir gesagt, nachdem er aufgehört hat. Es sei das Schönste, dass man trainieren kann, ohne dass einem die Beine weh tun. Dieser permanente, dumpfe, leichte Schmerz, den man immer wieder hat, das entfällt dann halt (lacht). Da hat man nur noch Spaß. Ich glaube, das wird mir ähnlich gehen.
Der Beinbruch 2001 hat mich allerdings viel Zeit gekostet. Erst 2003 konnte ich wieder an die Leistungen von 2000 anknüpfen.

Du warst auch der Typ Sportler, der eher zu viel als zu wenig gemacht hat, oder?
Ja, wenn vier Stunden auf dem Plan standen, dann bin ich nicht mit 3:55 heim gekommen. In den letzten zwei Jahren vielleicht schon mal, aber in aller Regel hieß vier Stunden: vier plus X. Ich bin so ein Plan-Über-Erfüller (schmunzelt). Da hat auch der eine oder andere Trainingskollege schon drunter gelitten (grinst). Wenn ich Jochen (Käß) versprochen hatte, wir machen eine dreistündige Ausfahrt und nach zweieinhalb Stunden waren wir noch mitten im Schwarzwald…Das war kein Einzelfall. Immer mit dem inneren Gefühl, mehr hilft mehr.

Obwohl Dir sicher Dein Trainer Bernd Ebler immer gesagt hat, dass dem nicht so ist.
Richtig. Ich habe auch in der Vergangenheit schon jungen Sportlern gesagt: die Form kommt in der Pause, in der Erholung. Aber Du weißt ja wie das ist, mit dem Wein und dem Selters (das man predigt). Ich habe allerdings schon in der Zeit bei Marc Hanisch angefangen mit SRM (Wattmess-Kurbel) Intervalle zu trainieren. Da war ich den anderen vielleicht etwas voraus. Ein Vorteil, der inzwischen aufgebraucht ist.

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Hannes Genze Dritter bei der Marathon-DM 2012 hinter Robert Mennen (links) und Markus Kaufmann, der im Jahr darauf zum Teamkollegen wurde. ©Armin M. Küstenbrück

Über Deinen Teamkollegen Markus Kaufmann wird in Sachen Training zur Zeit viel gesprochen.
Das ist ein Paradebeispiel für modernes Training. Ich glaube, das Training wird immer funktionaler gesehen. Ich meine, du musst das mental auch auf die Reihe kriegen was Markus macht: Auf der Rolle in der Höhenkammer zweimal am Tag dein Programm abzuspulen. Das ist nicht leicht und auch nicht das, was mich an dem Sport so begeistert. Insgesamt geht es im Spitzensport aber in Richtung Labortraining.

In der Weltspitze wird man künftig wohl kaum noch ohne hoch qualitatives Training was ausrichten können.
Mit der Ernährung ist es genauso. Ich meine, für mich sind Ernährungswissenschaften keine echte Wissenschaft, sondern eher Religion. Wenn du daran glaubst und die Restriktionen, die das meist mit sich bringt erdulden kannst, dann hilft es dir. Aber so einer war ich nie. Ich war keiner, der geil drauf war einen Körperfett-Anteil von fünf Prozent zu erreichen und dabei wochenlang nur trockenen Reis zu essen. Bei vielen Sachen ist es nicht mehr als der Placeboeffekt, schade dass ich selten dran geglaubt hab, so konnte ich davon kaum profitieren.

Von SRM bist Du ab 2006 zu Alb-Gold gewechselt. Das Team, das dann 2008 auseinander fiel. Wie hast Du die Zeit dort erlebt?
Fangen wir beim Schönen an. Das Jahr 2006 war das beste Jahr. Da waren wir eine tolle Truppe, es war alles im Lot. Da war der Andi Dilger noch dabei, wir waren nach den Rennen häufig die Letzten, die noch abgebaut haben weil wir noch ein Grillfest gemacht haben. Dann kam die Entscheidung der Team-Leitung Andi Dilger zu schassen und Peter Riis Andersen zurück zu holen, wohl auch auf ausdrücklichen Wunsch von Klaus Freidler.

Einschub: Der Däne Peter Riis Andersen war nach zweieinhalb Jahren beim Team Alb-Gold zu Cannondale-Vredestein gewechselt, fühlte sich dort aber nicht wohl und unterschrieb 2007 erneut bei Alb-Gold. Klaus Freidler (†) war Geschäftsführer von Alb-Gold. Im Juni 2008 wurde Peter Riis Andersen positiv auf den Blutplasma-Expander EPO getestet, woraufhin sich sowohl Alb-Gold als auch Co-Sponsor Bionade, auf eine entsprechende vertragliche Vereinbarung Bezug nehmend, als Sponsoren zurückzogen. Dabei war vorher sogar ein Ausbau des Engagement geplant gewesen. Centurion war der Bike-Lieferant. Team-Chef Robert Dorn und sein Partner Frieder Schneider führten die Equipe als DS-Rennsport noch zwei Jahre weiter. Allerdings blieb von der Besetzung Hannes Genze, Jochen Käß, Tim Böhme, Klaus Nielsen (DEN), Torsten Marx und Gabi Stanger nur noch Marx übrig.

Wie haben die Team-Fahrer Andersens Rückkehr empfunden?
Das Team hat das nicht für gut empfunden. Leider hat sich unser Gefühl im Nachhinein als nicht unberechtigt herausgestellt.

Wegen Andi Dilger oder wegen Peter Riis?
Beides. Wir hatten das Gefühl, dass wir als Truppe so gut zusammen sind und keine Veränderung brauchen, weil wir den Umgang mit Andi unfair fanden. Und weil wir es unfair fanden, dass jemand, der aus eigenen Stücken das Team verlassen hatte, . Er hatte damals Robert und Frieder mehr oder weniger vor die Nase gestoßen, als er im Herbst 2005 bei Cannondale unterschrieb,dann wieder mit offenen Armen empfangen wurde.

Das haben wir nicht verstanden. Das positive Test-Ergebnis, ich war da gerade im Urlaub in den Bergen unterwegs, das war ein Schock. Einerseits konnten wir es nachvollziehen, weil sich Peter immer sehr für die Thematik interessiert hat. Selbst wenn es tatsächlich der Fall war, dass er wirklich nicht lange mit der Scheiße rumoperiert hat, was ich sogar glauben kann, ist es trotzdem unverzeihlich. Er hat das Team definitiv zerstört. Er hat uns zudem Rechtsstreitigkeiten mit der Team-Leitung beschert.

Eine gewisse Tragik lässt sich da schon erkennen.
Ja, fast filmreif das Ganze. Andererseits: so auf die Füße fallen wie Jochen und ich kann man ja kaum. Dass Wolfgang Renner (Centurion-Chef und über die Merida-Centurion Germany GmbH) Merida überzeugte, dass man Jochen und mich Marathon-Rennen fahren lassen sollte war eine glückliche Fügung. Auch, dass beim Cape Epic ich nicht richtig in Form und Jochen das als Training nutzend, danach im Cross-Country plötzlich wieder in einer anderen Liga fuhr, das hat ihm die Berechtigung verschafft Cross-Country zu fahren.
Und Andi Kugler war plötzlich auf dem Markt, als das Felt-Team zugemacht hat. So hat sich das alles geschickt ergeben. Für mich, für Kugi und Jochen. Danke Taiwan, muss man sagen.

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Hannes Genze und dahinter Andreas Kugler. Ein zufälliges Gespann aus dem eine Freundschaft wurde. ©Craf Bike Transalp

Mit Andi Kugler hast Du Dich sehr gut verstanden?
Wir hatten eine super Zeit, da ist eine Freundschaft entstanden. Unsere erste Begegnung war alles andere als harmonisch, 2005 in Frammersbach (lacht), aber wir haben uns blind verstanden, vor allem bei den Zweier-Etappenrennen und immer viel gelacht, z.B. wenn er mal wieder irgendwas im Zimmer gesucht hat (lacht). Wir besuchen uns jetzt noch gegenseitig und ich hoffe, das bleibt so.

Du hast einen sehr analytischen Blick auf die Szene. Wäre ein Trainerjob auch was für Dich?
Darüber habe ich schon nachgedacht. Ich meine, einfach so beschließen, ich werde jetzt Trainer, das geht natürlich nicht. Aber ich habe den Gedanken in letzter Zeit häufiger gedacht, zum Beispiel zunächst die C-Trainer-Lizenz zu erwerben. Ich war auch mit Bernd Ebler (Landestrainer) schon zwei-, dreimal auf einem Junioren-Lehrgang mit dabei. Das ist eine Sache, die mir erst richtig bewusst wird, wenn mich jemand darauf anspricht: wie viel man eigentlich weiß, nach 20 Jahren Rennsport. Es ist doch schön, wenn man einem jungen Sportler auf seinem Weg helfen kann.

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Hannes Genze in seinem letzten Jahr im Wettkampf-Dress ©Sportograf

Klar, kann er es auch selber rumprobieren und aus seinen Fehlern lernen, aber die Zeit im Sport ist ja begrenzt. Je länger er üben muss, desto weniger Zeit hat er davon zu profitieren. Leute wie Tim Böhme oder ich sind die ersten (die als Trainer arbeiten oder arbeiten könnten), die den Sport längere Zeit auf hohem Niveau ausgeübt und erlebt haben.

In der Tat fehlen in der deutschen Szene noch Trainer, die den Sport selber erlebt haben. Das ist das eine, aber das andere ist, dass man Lust hat sich damit auseinander zu setzen und zu analysieren.
Nicht jeder gute Fußballer ist ein guter Trainer, das haben wir schon gesehen (lacht). Aber wenn Du sagst, ich beobachte und analysiere die Dinge, dann ist das klar. Ich meine, ich bin Ingenieur. Das wäre ich nicht, wenn ich nicht analytisch an die Dinge heran gehen würde. So wurde ich erzogen. Mein Vater ist Ingenieur, meine Mutter Mathematikerin.

Im Hinterkopf existiert also die Idee, mal Trainer zu werden.

Ja. Und da denke ich vor allem daran, Leute an die nationale Spitze heran zu führen. Ich interessiere mich nicht unbedingt für die Basisarbeit. Die ist zwar sehr wichtig, aber ich denke, dass mein Wissen und meine Erfahrung eher dafür da ist, Leuten ganz nach vorne zu helfen.

Deine berufliche Zukunft ist ab Januar 2015 erst mal eine Vollzeit-Stelle bei Centurion.

Ja, ich bin dort für die Entwicklung und Konstruktion aller Centurion-Rahmen zuständig. Das ist ein Gebiet, das mich unglaublich interessiert und mir Spaß macht. Und, vielleicht noch wichtiger: eine Arbeit, die mir leicht fällt. Ich muss mich da nicht quälen. Wie sich eine 40-Stunden-Woche anfühlt, das muss ich allerdings erst mal auf mich zukommen lassen. Da habe ich noch keine Erfahrung.

Zum ersten Teil des Interviews geht es hier


Hannes Genze im Kurzportrait

Geboren: 16.11.81 in Radebeul
Wohnt in: Sindelfingen
Teams: 2001 bei Focus (Offener Schien- und Wadenbein-Bruch nach Unfall)
2002 Merida
2003-2005 SRM Power Team
2006-2008 Team Alb-Gold
2009-2012 Multivan-Merida
2011-2014 Centurion-Vaude

Beruf: 2009 Maschinenbau-Studium mit Diplom-Arbeit bei Centurion beendet. Danach als freier Mitarbeiter für das Magstädter Unternehmen tätig. Seit 2013 mit 50-Prozent dort angestellt. Ab 2015 mit voller Anstellung in (Rahmen-)Konstruktion und Entwicklung.

Wichtigste Erfolge:
1999 Deutscher Vize-Meister MTB Junioren, Bundesliga-Gesamtsieger Junioren
2000 Deutscher Vize-Meister U23 Cyclo Cross
2001 Deutscher U23-Meister Cyclo-Cross
2002 Bronze DM U23 Cyclo-Cross
2003 Bronze DM U23 MTB
2004 Deutscher Meister Marathon
2005 Europameister Marathon, 5. DM Elite Cross-Country
2006 Deutscher Meister Marathon, 4. DM Elite Cross-Country
2007 5 Marathon-Siege, 6. EM Marathon
2009 11 Etappensiege bei MTB-Rundfahrten, 2. Transalp-Gesamtwertung
2010 Bronze DM Marathon, 2. Transalp
2011 2. Cape Epic, 4. Marathon-EM
2012 Bronze DM Marathon, 3. Cape Epic,
2013 4. DM Marathon, 4. Roc d’Azur
2014 Vier Marathon-Siege, 2. Transalp-Gesamtwertung

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