Tim Böhme im Interview: Mit dem alten System zum Titel

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Endlich mal ganz oben auf dem DM-Podest: Tim Böhme ©Gerd Böhme

Tim Böhme hat sich am Sonntag in St. Ingbert zum ersten Mal in seiner Karriere zum Deutschen Marathon-Meister gekrönt. Der 32-Jährige aus Singen, der seit einigen Jahren in Frankfurt/M. lebt und dort für das Radlabor arbeitet, spricht im Interview mit acrossthecountry.net über seine gespaltene Persönlichkeit als Sportler und Trainer, welchen Anteil Straßenprofi John Degenkolb und Thomas Dietsch am DM-Titel haben und die Zweifel, die er an der Fortsetzung seiner Karriere hatte.

ACC: Tim, Glückwunsch zum Deutschen Meistertitel. Wie fühlt es sich denn an, am Tag danach?
Tim Böhme: Super. Also die Unterschiede zwischen Platz eins und zwei sind doch gewaltig, was die Reaktionen angeht. Die Wellen der Begeisterung sind doch sehr groß, was an mich heran getragen wird. Viele freuen sich für mich. Es ist natürlich eine Ehre jetzt ein Jahr das Trikot tragen zu dürfen. Es verpflichtet natürlich auch, das werde ich merken. Da kann man nicht einfach zur Trans-Zollernalb hinfahren und gucken und hoffen. Aber es fühlt sich sehr gut an, ein Traum ist wahr geworden, nach so vielen Jahren.

Hast Du noch dran geglaubt? Du warst zweimal Zweiter und die letzte Silbermedaille ist auch schon fünf Jahre her.
Fast schon nicht mehr richtig. Es wird immer schwerer. Es kam ein Markus Kaufmann hoch, ein Markus Bauer, ein Simon Stiebjahn, ein Robert Mennen ist da, der ist ja auch in paar Jährchen jünger. In St. Ingbert gab es sieben, acht Namen, die hätten gewinnen können.

Ich habe lange darauf hin gearbeitet und es ist jetzt natürlich ein gutes Feedback vom Training. Das ist auch wichtig, ich werde ja nicht jünger. Es gab ja in den letzten Jahren viele Entwicklungen im Mountainbikesport, Verschiebungen kann man fast sagen, wo ich schon dachte, ui, ob man da jetzt noch mal hinkommt. Oder ob man das Ganze vielleicht verschlafen hat.
Aber es war schon im Rennen so, dass ich dachte, hey, wunderbar, was ich hier wieder abrufen kann. Das ist das, wo ich hin will. So ein Ergebnis gibt natürlich auch Selbstvertrauen für die Zukunft.

Die Zukunft? Du fährst 2015 schon weiter?

Ich habe nächstes Jahr noch Vertrag. Aber mit 32 fragt man sich, wo steht man, wo will man noch hin? Aber die DM hat mir bestätigt, dass ich noch was kann. Ewig am Deutschen Meistertitel vorbei zu schrammen, das hätte ich, glaube ich, nicht mehr lange mitgemacht. Deshalb ist es super schön und eine riesige Erleichterung, dass ich weiß, ich kann’s noch.

„Mit Meisterschaften bin ich immer
sehr gut zurecht gekommen.

Ich kann mich sehr gut auf den Tag X vorbereiten.“

Es ist lange her, dass Du ein Deutsches Meistertrikot gewonnen hast.
2000 bei den Junioren, vor Hannes Genze und Manuel Fumic. Eigentlich bin ich schon ein Meisterschaftsfahrer. In der U23 war ich mal Zweiter. Mit Meisterschaften bin ich immer sehr gut zu Recht gekommen. Ich kann mich sehr gut auf einen Tag X vorbereiten. Ich habe jetzt auch auf die DM hin Gewicht abgenommen, noch mal richtig hart trainiert. Mein gutes Glück war, dass sich John (Degenkolb, Straßenprofi) gerade auf die Vuelta vorbereitet hat, gerade in der Woche, in der ich meinen Schwerpunkt für die DM gesetzt habe. Da haben wir zusammen eine Combo gemacht. Dadurch, dass ich so eine Durststrecke hatte, mitten im Jahr.

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Tim Böhme: „Ein Traum ist in Erfüllung gegangen“ ©Sportograf

Woher kam die Durststrecke?
Ich habe zu viel gemacht. Ich bin eigentlich gut aus dem Cape Epic raus gekommen. In Singen und in Houffalize war ich gut drauf. Dann habe ich mich gut auf die internationalen Wettkämpfe (EM und WM) vorbereitet. Beim Weltcup in Albstadt, den ich als Training bestritten habe, war ich eigentlich gut in Schuss. Danach bin ich in die Four-Peak gegangen, aber da war ich zu sehr angeschossen, weil ich Albstadt aus dem Training raus genommen habe.
Das war dann halt noch mal eins oben drauf. Bei der EM in Irland war ich mit Urs (Huber) nicht schlecht unterwegs, auf Platz sechs, sieben, habe aber zum Schluss einen Hungerast bekommen. Davon habe ich mich unheimlich schlecht erholt.

Und dann?
Danach kam eins zum anderen, ich hab’ noch mal drauf trainiert und bei der WM in Südafrika war ich dann schon kaputt. Ich wollte eigentlich die Cross-Country-DM fahren, aber das habe ich dann sein lassen. Thomas (Dietsch, französischer Teamkollege) hat gesagt, konzentriere dich nur noch auf die DM und das war richtig.

Warum hast du nicht bemerkt, dass es in die falsche Richtung ging?
Ich habe mich beirren lassen vom Gewicht und Intervallen. Markus Kaufmann macht das ja vor. Das ist das, was ich gemeint habe. Die Professionalisierung des Trainings und so weiter. Ich lese auch viel und das hat mich inspiriert. Das System Training, das ich da trainiert habe, das hat mir und meinem Körper aber nicht gut getan. Dann bin ich wieder zurück zu meinem alten System, das ich mit Moritz (Milatz) trainiert habe und habe gemerkt, das funktioniert wieder. Ich muss einfach mein Ding machen. Vorher war einfach: zu wenig auf den Körper gehört, zu viel trainiert.

Der Trainer Böhme würde die Hände über dem Kopf zusammenschlagen?
Ja, ja, der hat da schon…, aber zur DM hat er das schon wieder hingerichtet (lacht).

Wie kann man das erklären, dass jemandem wie dir, der so viel Erfahrung hat, als Sportler wie als berufsmäßiger Coach, das passiert?
Gespaltene Persönlichkeit (Schmunzeln). Nein, der Athlet will viel. Das ist sicher ein Fehler, in den man immer wieder rein rutscht, weil man als Athlet mehr will. Weil man es nicht akzeptiert und sich schnell beeinflussen lässt von außen.
Sagt dir einer, er hat 25 Stunden trainiert und du hast nur 15 Stunden trainiert, dann denkst du, es ist viel zu wenig. Da kommt man in so einen Strudel rein, in dem man nicht akzeptiert, dass man mit 15 Stunden Training in der Woche schon satt ist. Eigentlich muss ich man ja 20 trainieren, weil es die anderen auch tun.

„Im Grunde habe ich mir bewiesen: ich kann’s.
Ich würde nie weiter fahren
und nur um Platz zehn kämpfen“

Du hast ja auch die Belastung mit der Arbeit im Radlabor Frankfurt.
Ja. Da muss ich echt aufpassen, weil ich das Training nicht so gut kompensiere, wie meine Konkurrenten, die zum Teil Profis sind oder einen anderen Job haben.

Wie viel Prozent arbeitest du denn im Radlabor?
Das ist eigentlich ein 50-Prozent-Job, aber mit viel Eigenverantwortung, vielen Projekten. Die Verantwortung zwingt mich halt dazu, relativ viel zu machen. Präsent zu sein. Ich kann nicht einfach abstempeln. Was aber auch schön ist, es macht mir ja unheimlich viel Spaß.

Es war sicherlich auch eine Überlegung, wohin nächstes Jahr die Reise geht. Mehr in Richtung Radlabor oder halt noch weiter Radfahren? Die Frage hat sich mir im Grunde am vergangenen Wochenende beantwortet, weil ich mir bewiesen habe: ich kann’s. Ich würde nie für Bulls weiter fahren und jedes Mal um Platz zehn kämpfen. Dafür ist zu viel Aufwand und zu viel Disziplin gefragt. Ich habe ja kaum Freizeit.

Du wirst also die Karriere über 2015 hinaus fortsetzen?
Wie hat Friedemann (Schmude, Team-Manager Bulls) so schön gesagt: Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer. Ich muss jetzt natürlich auch beweisen, dass ich ein würdiger Deutscher Meister bin. Wenn jetzt am Wochenende kein Titel, sondern nur eine Medaille raus gesprungen wäre, dann wäre ich trotzdem zufrieden. Ich weiß jetzt, dass ich eine hohe Leistung bringen kann. Das werde ich, hoffentlich, auch in den nächsten Rennen können.

Das heißt, du hoffst auch in den nächsten beiden Wochen in Furtwangen und bei der Sparkasse Trans-Zollernalb die Form halten zu können?
Genau. Den Schwarzwald Bike-Marathon in Furtwangen fahre ich primär um die Strecke anzuschauen, weil dort ja dann nächstes Jahr das Projekt Titelverteidigung ansteht. Die Trans-Zollernalb ist schon ein Rennen, das will ich gut fahren. Das war sonst immer die Vorbereitung auf eine DM oder die WM. Vielleicht kann ich da ja auch Stiebi (Simon Stiebjahn) und Stefan (Sahm) was zurückzahlen. Die haben bei der DM so gut für mich gearbeitet, das wäre mir ein Bedürfnis. Dann fahre ich noch Ornans, ein Rennen, das mir liegt. Und dann gemeinsam mit Stiebi das Cape Pioneer. Ich will die Saison noch gut ausklingen lassen.

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