Projekt: Watt-Gesteuert auf dem Weg nach Rio 2016

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Daten aus drei Runden Trainings-Rennen ©Uli Theobald


In Baden-Württemberg will ein Verbands-Projekt Bewegung in den Bereich Trainingssteuerung im Radsport bringen. Mountainbiker aus dem Nationalkader und etliche weitere Probanden aus verschiedenen Radsport-Disziplinen sollen daran teilnehmen und damit auch Rückstände gegenüber anderen Nationen ausgleichen.

Der Titel der Projektbeschreibung klingt halbwegs sperrig: „Einführung leistungsbasierter Trainingssteuerung in den olympischen Radsport-Disziplinen in Baden-Württemberg“. Was sich dahinter verbirgt, könnte weitreichenden Einfluss auf die künftige Gestaltung von Trainingsplänen bekommen. In der Cross-Country-Disziplin, aber auch in anderen Radsport-Disziplinen, wie BMX, Bahn und Straßen-Rennsport.

Vereinfacht gesagt, bedeutet der Projekt-Titel eine Verlagerung, respektive Ergänzung der Trainingssteuerung von der Laktat- und Herzfrequenz-Messung auf eine Steuerung durch die Watt-Werte, die ein Radsportler in Training und Wettkampf erzeugt.

Die Nachteile von Laktat-Messungen liegen auf der Hand. Beim klassischen Stufen-Test, bei dem in Drei-Minuten-Abständen der Pedal-Widerstand um 20 Watt gesteigert wird, herrschen Labor-Bedingungen. Auch wenn man das mit einer Atemgas-Analyse kombiniert.
Immer wieder produzieren Radsportler im Labor Werte, die Weltklasseleistungen erwarten lassen und die Wettkampf-Ergebnisse stehen dann doch überhaupt nicht in Beziehung zu den Top-Werten.

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Tests im Labor, wie hier Sofia Wiedenroth bei der Leistungsdiagnostik im Radlabor Freiburg, haben nicht ausgedient. Aber sie sollen mit dem Projekt ergänzt werden ©Erhard Goller

Herz-Frequenz zieht nach
Auch die Herzfrequenz-Messung während des Trainings oder eines Rennens hat ihre Tücken. Die Herzfrequenz reagiert träge. Im BMX und auch beim Bahnradsport kann eine Steuerung über den Puls aufgrund der Kürze der Belastungen gar nicht erfolgen, weil im Extremfall die Herzfrequenz erst nachzieht, wenn die Belastung schon vorüber ist.

Auch im Mountainbike-Sport ist eine Steuerung über die Herzfrequenz kaum möglich, weil aus ständig wechselndem Terrain eine dauernd schwankende Belastung resultiert. Die Frequenz dieser Belastungswechsel, bzw. die Intensität, hat in den vergangenen Jahren, einerseits durch die Verkürzung der Renndauer und andererseits durch die Veränderung der Streckencharakteristiken, im Cross-Country-Sport deutlich zugenommen.

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Puls (obere Kurve) und Leistung (unterer Kurve) passen allenfalls grob zu einander. ©Uli Theobald

Die Grafik mit Daten aus drei Runden auf einem Cross-Country-Kurs verdeutlicht dies noch mal. Die obere Kurve ist der Puls. Der pendelt nach dem Start zwischen 170 und 180 Schlägen. Mit der unteren Leistungskurve in Watt korreliert das nur in groben Zügen. Die Pulskurve reagiert verspätet. (Der „Absturz“ bei Minute 32 ist ein Messfehler).

Rückschlüsse auf aktuelle Verfassung des Athleten

„Im Anforderungs-Profil haben die hohen Intensitäten zugenommen, die Rennen sind explosiver geworden“, erklärt Uli Theobald, weshalb die Herzfrequenz immer weniger taugliches Mittel zur Steuerung geworden ist.

Aus diesem Grund nimmt sich das Projekt der Watt gesteuerten Trainingssteuerung an. Mit Systemen wie dem bekannten SRM (misst an der Kurbel), Powertap (misst an der Hinterrad-Nabe), Stages (im linken Kurbelarm) oder Garmin Vector (an der Pedalachse) lässt sich die jeweils aktuelle Leistung in Watt ablesen.

Mittels Software kann der Sportler in seinem Cockpit die Leistung unmittelbar erkennen und entsprechend anpassen. Die ausgelesenen Daten erlauben Rückschlüsse auf die Verfassung des Athleten und eine Anpassung der kommenden Einheiten.

Dafür ist allerdings ein Sammeln und die Interpretation der Daten notwendig. Das obliegt erst einmal Sportwissenschaftler Uli Theobald und MTB-Landestrainer Bernd Ebler, die das Projekt federführend betreuen.

„Für jede Trainingseinheit Gold wert“
Was die ARGE Radsport Baden-Württemberg, gefördert vom Landessportverband Baden-Württemberg, da anschiebt, bezieht sich erst mal auf die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro. Im Laufe der nächsten Saison soll der Erkenntnis-Gewinn mit den Projekt-Teilnehmern groß genug sein, um das für 2016 sicher und sinnvoll einsetzen zu können. Allerdings können die Sportler auch schon nächstes Jahr davon profitieren.

„Das ist für jede Trainingseinheit absolut Gold wert. Die Werte sind keine Labor-Werte, aber gut genug, um damit zu arbeiten“, sagt Theobald und verweist auch auf das „Regenerations-Management“. Damit lasse sich „die Trainingslast quantifizieren“, so Theobald. Und in der Folge auch präziser erkennen, wann besser Ruhe angesagt ist. Bundestrainer Peter Schaupp hat bereits begonnen, solche Systeme in diese Richtung zu benutzen.

Die angelsächsischen Länder haben’s vorgemacht
Gleichzeitig ist das Ziel des Projekts die Heim- und Landestrainer mit dem notwendigen Know-How auszustatten und das „irgendwann“ auch bundesweit auszudehnen.

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Im Gelände auch nur bedingt einsetzbar: Die Messung der Laktat-Konzentration im Blut. ©Armin M. Küstenbrück

Den Bund Deutscher Radfahrer versucht man deshalb gleich mit ins Boot zu nehmen.
BDR-Sportdirektor Patrick Moster ist nicht abgeneigt, im Gegenteil. „Das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Das muss kommen, vor allem im Mountainbike“, sagt Moster. Dort scheint es zumindest am schnellsten anwendbar, auch weil die Mess-Geräte praktikabel sind.

Gemessen an internationalen Entwicklungen, das stellt Uli Theobald auch klar, „sind uns die angelsächsischen Länder da weit voraus.“ Zum Beispiel die Briten, die mit einem finanziellen Großaufwand, ermöglicht durch Sponsor Sky, vor den Olympischen Spielen in London eine Offensive auf diesem Gebiet gestartet haben.
Auf deren Daten kann man allerdings nicht zurückgreifen.

So muss man eigene Werte sammeln und entsprechend umsetzen. Von Null fangen die Projekt-Verantwortlichen jedoch nicht an. Es wurde schon der eine oder andere Sportler mit einem Mess-System ausgestattet und Erkenntnisse gesammelt.

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