WM Andorra: Deutsche Bilanz mit individuellen Reserven

Der Lichtblick im deutschen Team: Junior Max Brandl holte WM-Silber ©Armin M. Küstenbrück/EGO-Promotion
Der Lichtblick im deutschen Team: Junior Max Brandl holte WM-Silber ©Armin M. Küstenbrück/EGO-Promotion

Die Schweiz und Frankreich bleiben die bestimmenden Nationen in der olympischen Cross-Country-Disziplin. Das ist ein Fazit der WM in Andorra. Ein anderes ist: Die Deutschen sind in den vergangenen Jahren nicht näher herangekommen. Nur die Junioren machen Hoffnung. Aber die muss man erst noch durch die U23 durchbringen und gerade da war aus deutscher Sicht in den Pyrenäen mehr Schatten als Licht. Der Versuch einer Bestandsaufnahme nach der Weltmeisterschaft.

Die 27 Medaillen in den Cross-Country-Disziplinen verteilen sich auf immerhin 14 Nationen. Dennoch lassen sich weiterhin zwei bestimmende Verbände herausfiltern: Die Schweizer und die Franzosen. Der Rest ist gewissermaßen, pardon, Fußvolk.
Drei Goldene und zwei bronzene Plaketten nahmen die Eidgenossinnen und –Genossen aus den Pyrenäen nach Hause. Und das obschon Swiss Cycling auch die eine oder andere Medaillenhoffnung begraben musste.

Zum Beispiel die bei den Damen durch die Krankheit von Jolanda Neff (Stöckli Pro), die angeschlagen bei ihrer ersten Elite-WM (mit Sondergenehmigung) nur Neunte werden konnte. Oder in der U23, wo Lars Forster (Wheeler-iXS) in der ersten Runde Defekt erlitt und nach dem Hinterrad-Wechsel die Schaltung nicht mehr funktionierte. Auch Sprint-Weltmeisterin Linda Indergand (Focus XC) war im Cross-Country-Rennen der U23 nicht ganz auf der Höhe ihrer Schaffenskraft. Aber da hatten die Eidgenossen ja eine Ramona Forchini in der Hinterhand, die nicht nur sich selbst verblüffte und nächstes Jahr den Weltcup im Rainbow-Jersey bestreiten darf.

Bei den Juniorinnen hätte es, dem Saisonverlauf nach, ein Duell zwischen Sina Frei und Nicole Koller geben müssen. Doch die Italienerin Martina Berta schlug allen ein Schnippchen.
Gemessen an der Ausgangslage hätten in der männlichen U23 eigentlich ein drei Franzosen um die Medaillen kämpfen müssen. U23-Weltcup-Sieger Titouan Carod (Magenschmerzen) und Romain Seigle fielen in dieser Funktion aus. Nur Victor Koretzky wurde den Erwartungen gerecht. Junior Antoine Philipp konnte ebenfalls nicht in den Kampf um Edelmetall eingreifen.

Desaster an der Schnittstelle U23
Es hat also auch bei den zwei besten Nationen nicht alles geklappt. Wehe wenn doch, könnte man den Zeigefinger heben. Dann bleibt für den Rest noch weniger übrig. Man sieht, auch die können Probleme haben, könnte man andererseits mit dem Kopf nicken.

Ob das aus deutscher Sicht nur tröstlich ist? Kaum. Und zwar, weil die Schnittstelle U23 das größte Desaster erlebte. Oder Ernüchterung. Wie man will. Dort wo Zukunftshoffnungen greifbar, wo sie erkennbar werden (sollten), sich Talent in eine ernsthafte Option auf eine Profi-Laufbahn verwandeln sollte. Wo man sich für die Fortsetzung der Karriere in der Elite anbieten muss.

2013 gab es in dieser Kategorie WM-Silber für Julian Schelb und Rang sieben für Christian Pfäffle (Lexware Mountainbike Team), ein Jahr später Platz sieben für Julian Schelb und 17 für Georg Egger, einen aus dem jüngsten Jahrgang.

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Hat die Erwartungen erfüllt: Johannes Bläsi ©Lynn Sigel

In Andorra fand man jenen Egger nur auf Platz 28 wieder – als besten Deutschen. Wo man doch dem ganzen Sextett Top-20-Potenzial zuschreiben kann. Die Gründe für den General-Einbruch, was die Ergebnisse angeht, sind gewiss individuell. Das reicht vom Infekt bei Martin Frey (Team Bulls) – wie viel Eigenverantwortung da drin steckt, sei mal dahingestellt – über das demolierte Schaltwerk bei Ben Zwiehoff (Bergamont), der gebrochenen Kettenführung bei Christian Pfäffle und den Magen-Problemen bei Georg Egger (beide Lexware) bis zu Lukas Baum (Koch Engineering-Müsing Bikes), der mit dem erzwungenen Laufpassagen in den ersten Runden („Crosslauf“) nicht klar kam.
Alles nur eine zufällige Ansammlung von Pech? Ungünstige Bedingungen?

Sofia Wiedenroth als WM-Einzelkämpferin

„Das war auch für mich enttäuschend. Wir haben mit Sicherheit individuelle Reserven“, meint Bundestrainer Peter Schaupp. Das gilt für die Vorbereitung auf eine WM, das Herangehen bei der WM als auch für das Material. Worauf er aber nur zu einem gewissen Teil Zugriff hat.

Aus der Reihung ausnehmen kann sich nur Johannes Bläsi (Freiburger Pilsner-AfK) Der lieferte bei seiner ersten WM von Startplatz 91 kommend mit dem 41. Rang eine solide Leistung ab, auch wenn er sich selbst nicht den absoluten Supertag attestierte.

Bei Sofia Wiedenroth (AMG-Rotwild) konnte man nach langer Wettkampf-Pause nicht viel erwarten. Dass sie in der weiblichen U23 bei der eine Einzelkämpferin war, macht die Sache nicht gerade einfach. Ob Majlen Müller (Fujibikes-Rockets) die Lücke noch schließen kann?

Man darf natürlich nicht alles über die WM bewerten, aber das Zwischenhoch Ende Juli, Anfang August hat sich nicht als stabil herausgestellt.

Im Herbst muss das Geschehen analysiert und Schlüsse gezogen werden. Schließlich ist es ja nicht so, dass die aktuelle U23-Generation kein Talent hätte. Einen Überflieger à la Cooper oder Koretzky hat man zwar nicht dabei, doch auch die hatten ja in den ersten Jahren ihre Probleme in der U23. Vielleicht bekommt ja Lukas Baum als deren Nachfolger als Junioren-Weltmeister auch noch die Kurve. Aber nur darauf zu hoffen, wäre zu wenig.
Überdies weicht das WM-Resultat nicht so sehr von dem Bild ab, das man im Frühjahr zu sehen bekam. Eine Analyse, bzw. daraus folgende Korrektur wäre also unbedingt nötig.

Junioren, die Hoffnung machen
Zwiehoff, Frey, Egger und Baum könnten nächstes Jahr schon Druck bekommen. Von unten. Denn Junioren-Bundestrainer Marc Schäfer entlässt ein starkes Quartett in den U23-Bereich. Vize-Weltmeister Max Brandl und Lars Koch (beide Lexware) , sowie der WM-Vierte Robin Hofmann (Haibike-KMC) und Simon Schneller (Bike Junior Team) könnten Druck machen. Unabhängig davon, ob für alle Vier die Tür zur U23-Nationalmannschaft aufgeht. Dass man auch von außerhalb lautstark anklopfen kann, hat Johannes Bläsi gezeigt.
„Wir haben bei den Junioren Breite und Spitze“, weiß Peter Schaupp. „Die sind fast noch besser als damals Julian Schelb, Markus Schulte-Lünzum und Martin Gluth.“

Das also macht zumindest mal Hoffnung. Bei den Juniorinnen muss man mal abwarten, wo die Entwicklung einer Antonia Daubermann (Principia), einer Felicitas Geiger (Haibike-KMC) oder einer Clarissa Mai (Link Rad Quadrat) hingeht. Die kranke Anna Saier (Lexware) gehört ja noch zum jüngeren Jahrgang. Eine Ergänzung zu Sofia Wiedenroth wäre dringend geboten. Zumal auch noch völlig offen ist, wohin der Weg von Lena Putz (Genesis-Entireinfra) führt, ob die Junioren-Vize-Weltmeisterin von 2011 noch mal zurückkommt.

Kommt sie in der Elite an oder nicht? Dort hat man aktuell immerhin drei Damen, die für erfreuliche Schlagzeilen sorgen können. Im Moment zwar nicht im Kampf um Medaillen, aber doch auf Weltklasse-Niveau.

Damen-Trio auf Top-Niveau – und dann?
Sabine Spitz (8.) war bei der WM wieder die Beste aus dem Trio, Helen Grobert (Ghost Factory Racing, 11.) hat ein erstaunliches Niveau erreicht und Adelheid Morath (BH-Sr Suntour-KMC, 13.) ihres bestätigt, auch wenn Grobert und Morath durch einen Start-Crash gehandicapt waren.

Dahinter? Kann man auf zwei Dinge hoffen: 1. Dass Elisabeth Brandau (Radon-EBE Racing) noch mal an ihre besten Zeiten anknüpfen kann und 2. dass Nadine Rieder (AMG-Rotwild) so weiter macht und den Abstand zur Weltklasse noch mal verkürzt.
Hanna Klein (BH-Sr Suntour-KMC) stagniert auf einem Niveau, das eigentlich nicht so viel mit ihrem eigentlichen Potenzial zu tun hat. Aktuell deutet nicht viel darauf hin, dass es da noch mal Bewegung nach oben gibt, aber man weiß ja nie.

Quo vadis Simon Stiebjahn?
Sehr viele offene Fragen gibt es bei den Herren. Das einzig echte Statement hat Manuel Fumic (Cannondale Factory Racing) abgeliefert. Rang vier bei der WM, das ist Weltklasse. Sieben Sekunden zur Medaille, hin oder her. Er hat vielleicht sich selber enttäuscht, weil er mehr wollte, aber die Beobachter sicher nicht.
Ausgerechnet Simon Stiebjahn (Team Bulls) sorgte als 25. für das zweitbeste Resultat bei den Herren. Er, den man zwar im Auge hatte, aber erst kurzfristig tatsächlich mit nach Andorra nahm.

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WM-Einzelkämpferin: Sofia Wiedenroth ©Lynn Sigel

Der im Vorjahr die Sportfördergruppe der Bundeswehr verlassen musste, weil er bis zum Zeitpunkt der Entscheidung in der einzig relevanten Disziplin Cross-Country keine Ergebnisse vorweisen konnte. Und deshalb mit seinem Team Bulls auf die Marathon-Schiene setzte. Wie das 2016 wird? Ob man auf den Schwarzwälder im Cross-Country zählen kann? Unabhängig von Olympia? Quo vadis „Stiebi“? Auch das eine Frage, die im Herbst zur Debatte steht.

Die einstigen Hoffnungsträger haben Kolbenklemmer
Dass es für Moritz Milatz (Koch Engineering-Müsing Bikes) dieses Jahr schwer werden würde, war klar. So schwierig vielleicht nicht, aber immerhin hat er die Olympia-Norm geknackt und damit sein Minimal-Ziel erreicht. Das indiskutable WM-Resultat (80.) war der Höhenlage und dem Eingeklemmt-Sein zwischen Prüfungen geschuldet.

Der Rest? Das oben genannte Trio, in der U23 zu den Hoffnungsträgern mutiert, hat Kolbenklemmer. Julian Schelb (Multivan-Merida) war im Frühjahr mit gesundheitlichen Problemen beschäftigt und bei der WM erst gar nicht dabei. Markus Schulte-Lünzum (Focus XC) erlebte eine völlig verkorkste Saison, abgesehen von DM-Silber. Dass er bei der WM wie ein Phönix aus der Asche auftauchen würde, das war nicht zu erwarten. Und Martin Gluth (Novus OMX) konnte ebenfalls nicht an seine Saison 2014 anknüpfen, geschweige denn die Resultate steigern.
Bleibt noch Markus Bauer (Kreidler Werksteam). Kann sein, dass dem die Doppelbelastung Marathon und Cross-Country nicht gut getan hat. Zumindest ist das wohl ein Grund für die bescheidenen Resultate.

Die Saison ist so gut wie gefahren. Große Korrekturen an der Gesamtbilanz sind kaum noch anzubringen.
Fumic und Milatz sind 33. All zu viel Zeit hat diese Generation nicht mehr, um die Lücke zu schließen. Zum Glück weiß man ja, dass da mehr drin steckt, als raus kommt. Schon deshalb ist auch hier eine schonungslose Analyse von Nöten.

Die Cross-Country-Medaillenbilanz der WM in Andorra
SUI 3-0-2
FRA 2-2-0
NZL 1-1-0
DEN 1-1-0
ITA 1-0-1
AUT 1-0-0
RUS 0-2-0
GER 0-1-1
GBR 0-1-1
NOR 0-1-0
UKR 0-0-1
CZE 0-0-1
COL 0-0-1
SWE 0-0-1

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